Belletristik,  Klassiker

Rezension „Deutsche Hörer!“

„Die Hölle, Deutsche, kam über euch, als diese Führer über euch kamen. Zur Hölle mit ihnen und all ihren Spießgesellen! Dann kann euch, immer noch, Rettung, kann euch Friede und Freiheit werden.“

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten floh Thomas Mann ins amerikanische Exil, wo er ab 1940 über die BBC monatliche Radioansprachen an seine ehemaligen Landsleute richtete. In insgesamt 58 Reden, die bis November 1945 gesendet wurden, setzte er sich kritisch und mutig mit dem Kriegsgeschehen sowie den Verbrechen des NS-Regimes auseinander.

Diese Ansprachen sind literarisch und rhetorisch bemerkenswerte Texte, die leider aktueller kaum sein könnten. Sie verdeutlichen Manns Versuch, ein moralisches Gegengewicht zur Lügenpropaganda des Nationalsozialismus zu schaffen und appellieren an die Verantwortung und das Gewissen jedes Einzelnen. Sie stellen die entschiedensten und kompromisslosesten Äußerungen des Dichters zu Fragen des Zeitgeschehens dar. Er zeigt sich in ihnen als politisch agierender Schriftsteller im Kampf gegen den Faschismus.

Nach den ersten vier Sendungen, die von einem Sprecher in London verlesen wurden, entschied man sich, seine eigene Stimme für eine größere Wirkung einzusetzen. Schallplatten mit Manns Aufnahmen wurden aufwendig von Kalifornien nach New York transportiert, per Telefon nach London überspielt und schließlich ausgestrahlt. Die technische Raffinesse unterstrich die symbolische Kraft der Sendungen, deren Pausensignal – das Morsezeichen für „V“ wie Victory – wie ein unüberhörbares Klopfen an die Tür der Deutschen wirkte.

In der vor wenigen Tagen erschienenen Neuauflage werden die Reden ergänzt durch ein großartiges Vorwort und Nachwort der Autorin Mely Kiyak. Kiyak, ausgezeichnet unter anderem mit dem Theodor-Wolff-Preis, setzt sich mit der zeitgeschichtlichen und intellektuellen Bedeutung von Manns Reden auseinander und ordnet sie in die Gegenwart ein.

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